Theobalds Traum

Für jeden richtigen Münchner kommt der Moment, wo er meint, nach Berlin ziehen zu müssen. 

Theobald hatte dieses Gefühl bereits vor zehn Jahren, und tatsächlich, vorgestern ist er mit Sack und Pack aufgebrochen.

Jetzt oder nie, hat Theobald sich gedacht.

Aber einen ungünstigeren Zeitpunkt hätte er kaum wählen können. 

Gerade als er die neue Wohnung in Kreuzberg angemietet hatte, wurden ihm in München attraktive Jobs nur so hinterhergeworfen. Mit sämtlichen Exfrauen (inklusive Ex hoch vier) war es plötzlich wieder bergauf gegangen. Und während das Ultraschall, Deutschlands bester Technoclub, zur Wiedereröffnung geladen hatte, musste Theobald Umzugskartons besorgen. So ist, einen Steinwurf von der alten WG entfernt, mit dem Kunstpark Ost das neue Partyzeitalter ohne ihn angebrochen.

Theobald wird vermutlich gerade in einem Kreuzberger Keller stehen, die erste Ladung Kohlen nach oben schleppen und an die Worte des Vaters denken, der zum Abschied gesagt hat: »Ich finde dein antizyklisches Verhalten bewundernswert.«

Dem Vater war nämlich ein Zeitungsartikel aufgefallen, in dem der Untergang Kreuzbergs beschworen wurde. 

Antizyklus hin oder her, mag Theobald sich denken, aber was will ich hier eigentlich? Vor dem Schlafengehen legt er eine nostalgische München-Mix-Kassette ein und fällt gleich in einen tiefen Schlaf.

Nachdem er sogar im Traum fünfzehn Mark zahlen musste, ist Theobald in einer weit verzweigten, aber hoffnungslos überfüllten, frisch dekorierten Höhle. Fremdartige Musik pumpt die Menschen von einem Raum in den anderen, Regenbogenflecken wandern an den gekachelten Wänden entlang.

Weiter unten stehen prächtig geschmückte Jungen und Mädchen, und eine besonders schöne, »das ist doch Ex hoch vier«, denkt sich Theobald im Traum, und fragt sich, wo sie herkommt.

Sie lassen sich mal hier, mal dorthin treiben, probieren von süßen Kuchenstücken und trinken grelle Säfte. 

Plötzlich verschwinden sie im Nebel, werden von einem Spot angestrahlt und zucken in einer fremdartigen Klangwolke. Andere streifen sich wie zufällig, zwinkern sich zu, und Theobald und Ex hoch vier werden von sphärischen Sesseln verschluckt, die bald in schallendes Gelächter ausbrechen.

Theobald erwacht, und der Tag wird kommen, an dem er nach München zurückkehren wird, vielleicht in zehn Jahren, doch die Zukunft wird schon vorbei sein, nur noch Partyzonen, Sicherheitsdienste und Computerfirmen rings um die Stadt, und Theobald wird durch die leeren Straßen laufen und einfach mit jemandem reden wollen.

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© by Monsieur Farkas, 2016