
Elektronische Beats als Versprechen auf ein besseres Morgen – Futura Sarajevo, das erste Techno-Festival in Sarajevo nach Kriegsende, fand im Sommer 1998 im Dom Mladih statt, einer zerstörten Sporthalle aus der Zeit der Olympischen Spiele.
Es war nur ein kleiner, ein bescheidener Traum, der sich an diesem Wochenende für den jungen Mann aus Sarajevo erfüllt hat. Aber er genügte, um ihn glücklich zu machen. »Meine großen Träume«, sagt Adi Sarajlic (Foto oben, links), »habe ich im Krieg verloren. An morgen denke ich nicht. Ich lebe jetzt, in diesem Moment.«
Dass die Zukunft immer nur hier und jetzt stattfindet – daran haben sich die Jugendlichen in Sarajevo längst gewöhnt. Während des Kriegs ging es darum, schnell ein bisschen Brot, Wasser oder Brennholz für die Familie zu organisieren; oder einfach Spaß zu haben bei einem Rockkonzert in einem der geheimen Keller und für einen Abend alles zu vergessen. Vor allem aber, sich damit vertraut zu machen, dass jeder Moment der letzte sein konnte.
Seit dem Friedensabkommen von Dayton hat nun zum zweiten Mal eine Gegenwart‘ begonnen, die sich endlos zu dehnen scheint. Zwar gäbe es viel zu tun in der zerstörten Stadt. Nur: Das Geld fehlt. Wer Arbeit bei einer der internationalen Organisationen findet, hat Glück gehabt. Die anderen, sie sind die große Mehrheit, schlagen die Zeit tot. Spazieren die Straßen auf und ab. Sitzen stundenlang über demselben Bier im Café. Rauchen. Reden davon, abzuhauen. Schlendern weiter.
Um so mehr war dieses Wochenende ein Ereignis der besonderen Art.
Schon seit Wochen war im Fernsehen und auf Plakatwänden für Futura Sarajevo 98 geworben worden – das erste Techno-Festival in Bosnien. Dass es nach all den behördlichen Schwierigkeiten überhaupt stattfinden konnte, ist dem unermüdlichen Einsatz eines Münchner Vereins sowie seiner bosnischen Partnerorganisation, dem Sarajevo Music Forum, zu verdanken.
»Die Stadt wird für zwei Tage eine andere sein, sie wird in ein anderes Licht und in eine andere Musik getaucht werden«, verkündete deshalb stolz einer der Organisatoren auf der Pressekonferenz. Und auch Adi Sarajlic, der berühmte Radio- und Fernsehjournalist, der fast nie ohne seine blaue Kappe aus dem Haus geht und dessen Augenlider heftig zucken, wenn er aufgeregt ist, wirkte zuversichtlich.
Von Leuten wie Adi, sagt Beate Dorsch (Foto oben, rechts), Mitarbeiterin des Cafés in der Muffathalle und Mitglied des Münchner Vereins Sarajevo Is Next, habe sie gelernt, cool zu bleiben. »Wenn kein Werkzeug da ist oder kein Strom, wirst du schon unruhig«, sagt die 27jährige mit den kurzen, blond gefärbten Haaren. »Die Leute hier aber sagen: Irgendwie wird’s schon. Und so ist es dann auch.«
Beate und Adi haben sich Anfang des Jahres im Büro des Sarajevo Music Forum kennengelernt. Beate war gerade in der Stadt, um nach einem geeigneten Ort für das schon länger geplante Techno-Festival zu suchen. Anfangs hatte sie gedacht, es könne nicht so schwer sein, eine Halle und zwei Plattenspieler zu organisieren. Doch nach zehn Tagen war sie frustriert: »Selbst für eine Techno-Party waren die meisten Gebäude einfach zu kaputt!« Da hatte Adi zu ihr nur gesagt: Komm mit!, und sie zum »Dom Mladih« geführt – wo dann ein paar Monate später einige der besten DJs aus München, Wien und Boston tatsächlich zwei unvergessliche Partynächte liefern sollten.

Das Dom Mladih, eine Halle mitten im Zentrum Sarajevos, ist ein symbolträchtiger Ort. Für die Olympischen Spiele 1984 erbaut, wurde das Gebäude später für Popkonzerte genutzt, im Krieg teilweise zerstört, und seitdem steht es leer. Heute wirkt der Rundbau wie ein Raumschiff aus Beton; vom Dach sind nur ein paar verrostete Eisenträger übrig geblieben.
Freitagabend, kurz nach neun. Adi, Beate und die anderen rund zwanzig Organisatoren und Helfer haben die Vorbereitungen für das Festival beendet. Der Generator surrt, die Bar steht, der Backstage-Raum auf der Dachterrasse ist abgesperrt, und in der Rotunde sind die ersten Lichtspiele zu sehen: wandernde Leuchtquader, flirrende Dreiecke, blubbernde, an die Wände projizierte Blasen. Elektronische Beats hallen bereits im leeren Raum. Unten am Eingang tasten die Sicherheitskräfte die Besucher ab. Als dann der Münchner DJ Lester den Abend mit einem treibenden Electro-Set eröffnet, gibt es kein Halten mehr.
Die Jugendlichen, geschminkt und gepierced, bunt und schillernd, sind enthusiastisch wie vielleicht nirgends sonst auf der Welt. Kein Warten, kein Herumstehen. Alle tanzen, pfeifen, schreien wie verrückt, das gab es noch nie: Unten im Raumschiff die heftigen Beats, und oben, über den Köpfen der Tänzer, der offene, sternenklare Himmel.
Und sogar einige Bundeswehr-Soldaten der hier stationierten SFOR-Truppen feiern mit, schwenken grüne Leuchtstäbe. »Wir betreten Neuland mit dieser Aktion«, sagt Major Ulrich Lösser, der für das Festival einen Generator bereitstellte – offiziell als Manöver angemeldet. »Bei uns in Deutschland wäre das undenkbar«, sagt er und kann seine Freude nicht verbergen. »In der Bundeswehr kannten wir bislang keine Flyer«, fügt er hinzu, »sondern nur Stabsbefehle.«

Das Festival ist auch am Samstag ein Erfolg: Mehr als dreitausend Leute sind an den beiden Tagen zusammengekommen, haben bis fünf Uhr morgens ihrer Sehnsucht nach Ekstase freien Lauf gelassen. Jetzt, beim Aufräumen, sagt Beate, komme ihr alles schon wieder so weit weg vor. Die Wände sind wieder grau, die Sonne knallt auf den abfallübersäten Betonboden, und sie fühle sich gleichzeitig erfüllt, erschöpft und auch ein bisschen traurig. »Ich hoffe«, sagt sie, »dass wir den Leuten Energie gegeben haben, und dass sie motiviert sind, selbst aktiv zu werden.«
Auch Adi Sarajlic sieht jetzt müde aus, schiebt die Sonnenbrille über die Augen, zündet sich eine Zigarette an. Es müsse natürlich weitergehen, sagt er, der nächste Schritt sei ein selbstverwaltetes Jugendzentrum. Und bevor er sich von Beate und den anderen Freunden aus München verabschiedet, kommt er bei einem letzten Kaffee ins Erzählen, und dann deutet er auf seine rechte Brust.
»Hier«, sagt Adi, »hier habe ich immer noch ein kleines Stück Metall in meinem Körper.« Als er vor sechs Jahren einem Nachbarn gerade einen Basketballtrick habe zeigen wollen, sei auf dem Hof eine Granate explodiert. »Ich habe geblutet, aber ich habe gesehen, dass noch alles an mir dran ist.« Sein Arzt habe ihm später gesagt, man könne damit leben, es sei nicht eilig. »Ich werde keine Probleme damit haben«, sagt er mit einem Grinsen. »Höchstens wenn ich durch eine Flughafenkontrolle muss, und plötzlich fängt es zu fiepen an.«
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© by Monsieur Farkas, 2016
> Ein persönlicher Bericht des Musikers Chris Korda über Futura Sarajevo 98 mit Fotogalerie findet sich hier.



