Premierenpelz

»Na, du alte Kritikermaus!« – Kurzkritik zur Premiere von »Drei Mal Leben« von Yasmina Reza anno 2000 im Münchner Residenztheater.

In der Astrophysik bedeutet »Halo« Umgebung. Jede Galaxie hat eine Halo: eine dunkle Gegenwelt, ohne die es keine leuchtende Materie gäbe.

Beim Theater ist es ähnlich. Die Schauspieler können am Ende nur strahlen, wenn es eine dunkle Welt gibt mit unsichtbaren Zuschauern, die eintauchen ins Spiel. Das fällt leicht bei den Stücken der Französin Yasmina Reza.

Die Versuchsanordnung bei »Drei Mal Leben« ist einfach; zwei Ehepaare, die zu Hause einen Abend verbringen. Eine Endlosschleife in drei Versionen. Wie bei »Lola rennt«. Dabei genügen ein Wort, ein Joint, eine unscheinbare Bewegung des Körpers, und der Abend verläuft ganz anders – und doch wieder gleich. Es geht in diesem schicken Wohnzimmer auf der Bühne, dem Herzen des aufstrebenden Mittelstands, natürlich darum, Erfolg zu repräsentieren; in diesem Fall um den zweier Weltraumforscher.

Gedämpftes Gemurmel im Foyer vor der Aufführung. Viel Premierenpelz und Daune schieben sich Richtung Garderobe. Kaum Prominenz, später sind immerhin ein Tatort-Kommissar und ein renommierter Zeitungsmann zu sehen. Eine Dame mit schwarzem Kopftuch steht unbeachtet da, endlich wird sie begrüßt: »Na, du alte Kritikermaus!« Da lächelt sie.

An der Bar möchte ein Pärchen Plätze reservieren für die Pause, es wird aber keine Pause geben. »Was, keine Pause?«
Klingeln.
Einmal.
Zweimal.
Logenplatz einnehmen.
Unter dem Bühnenvorhang lugt eine Carrera-Bahn hervor. Das Licht wird schwächer. Der königlich-bayerische Saal des Münchner Cuvilliés-Theaters mit den Kronleuchtern und dem Gold und den trompetenden Engeln verschwindet.

Der Nachbar stöhnt immer wieder »Oh Gott«, kichert, weil auf der Bühne eine Parkuhr umfällt.
Zwei Stunden später tosender Beifall, vereinzeltes Johlen.

»Waren Juliane Köhler und Sophie von Kessel nicht ganz bezaubernd?«
Glückliche Gesichter.
»Hast du das mit den Halos verstanden?«, meint ein Gast dann noch.

Draußen ist es kalt, außer in den dunklen Limousinen, deren Motoren schon laufen in Erwartung der fröstelnden Gattinnen.

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