Dies ist ein neuer Morgen.
Wie gut! Nach einer recht frischen Nacht liegt er dir zu Füßen, einfach so, dir zuliebe. Er ist auf alles gefasst. Er ist zu allem bereit. Er setzt auf dich. Du aber? Stehst auf, wie immer, nimmst einen Schluck Wasser aus der Leitung und fühlst dich wie deine eigene Rumpelkammer.
Warum springst du nicht in die Luft, rennst auf die Straße und gibst dem erstbesten Menschen einen Kuss?
Warum solltest du.
Dies ist ein Morgen, an den einmal nichts erinnern wird. Du holst die Zeitung, »Dies ist ein neuer Morgen« steht dort, und stehst bald unschlüssig vor dem gehorsamen Spiegelbild. Endlich trinkst du Kaffee. Gäbe es einen Soundtrack zu diesem Morgen, denkst du, würde er nach elektronischer Zwölftonmusik klingen. Niemand würde das kaufen wollen.
Der Mann mit dem grauen Hut kennt diese Geschichten. Er selbst hat sie lange genug miterlebt. Eines Tages aber wollte er nicht mehr. Nicht, dass er geheiratet hätte oder einem Verein oder einer Partei beigetreten wäre.
Warum sollte er.
Er hat nur das getan, was zu tun war. Er ist in den Untergrund gegangen, zu den Amigos.
Die Amigos haben es raus. Sie sind bis an die Zähne mit Platten bewaffnet, die sie mehrmals im Jahr aus Venezuela oder Puerto Rico oder Cuba mit kleinen Frachtschiffen nach Europa schmuggeln, um in den Clubs traurig-tropische Rhythmen längst vergangener Tage zu verfeuern. Wo die Amigos herkommen und wie viele es sind, weiß niemand genau. Einige tausend, schätzt das Innenministerium. Andere vermuten, es handle sich dabei nur um eine einzige Person. Der Mann mit dem grauen Hut jedenfalls sagt, sie seien schwer zu finden; ihr einziges Erkennungszeichen sei eine beinahe schon gleichgültige Liebe zur Musik.
Auch wenn die Amigos auf den ersten Blick so verloren wirken wie die berühmten drei traurigen Tiger, haben sie dennoch heimliche Verbündete. Wo sie auftreten, tun sie nichts anderes als am Bechsteinflügel sitzen und klimpern – was immer ihnen die verrückten Götter ins Ohr flüstern mögen.
Die Amigos haben keine Ahnung von den neuesten Trends. Bei Begriffen wie Remix oder Postmoderne zucken sie nur mit den Schultern. Vielleicht haben sie davon gehört, aber es längst wieder vergessen. Sie ahnen, dass sich nichts Wesentliches geändert hat; dass es immer noch und wieder um den Hunger geht, den wirklichen und den sprichwörtlichen.
Die Amigos leben ihren eigenen Rhythmus, eine Mischung aus Cha-Cha-Cha, Mambo, Soul und Boogaloo.
Am Morgen fallen sie stumm aus ihren Betten, nehmen einen Schluck Absinth, einer von ihnen setzt seinen grauen Hut auf, und sie tun, was zu tun ist. Nachts aber zücken sie ihre Salsa-Platten, bitten ihr Orchester auf die Bühne und schütteln mit ihren Hüften den Staub von tausend Jahren Geschichte ab, auch von deiner Geschichte.
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© by Monsieur Farkas, 2016
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