Melancholisches Manifest

Traurigkeit ist Ausdruck unserer Lebensfreude.

Wir sind lichtscheu, träumen vom letzten Tango in Buenos Aires und haben auch sonst keinen Grund, an etwas zu glauben. Wir springen in den Fluss, doch wenn wir an Land gehen, zittern wir. Ein Polizist hat die Handtücher beschlagnahmt.

Wir setzen uns an Maschinen und lassen die Tastatur klappern, umschwirrt von einer Erinnerung an damals, als wir unsere Köpfe in Essig tunkten und in schwachen Momenten mit dem Finger am Abzug durch die Stadt swingen wollten, bam, bambam. Wir hätten viele Menschen getroffen, bam, bambam, vielleicht ein paar alte Bekannte, vielleicht auch nur einen Surrealisten.

Wir haben heimlich Bekennerbriefe verschickt, mit roten Herzen, auf die wir schwarze Pistolen kritzelten, darunter ein Zitat vom alten Dillinger. Wir haben Gedichte gefälscht und Schnee geklaut und in Fakten gebissen, wir waren magersüchtig und heiser und liebten den Wind und das Meer und das Rauschen der Platten am Ende der Rille, wir waren zu allem bereit, und alles ist viel, aber viel ist nichts.

Wir waren nie Blumenkinder und werden nie Sonnenkinder sein. Es freut uns, wenn die Sonne scheint, aber es freut uns noch mehr, wenn es regnet. Die Sonne schafft Ordnung; der Regen löst sie auf.

Wir haben nichts übrig für Esoterik. Wir halten nichts von Parolen. Wir wissen nicht genau, wer das ist: wir. Wir wissen nur genau, wer es nicht ist: ihr.

Wir werden von Wörtern nicht satt. Körper genügen uns nicht. Geist alleine ist uns zu trocken. Wir suchen nicht die Wahrheit, sondern finden zufällig etwas, das uns verrückter macht oder klüger oder aufrichtiger.

Weil wir Teil des Systems sind, sind wir politisch. Weil wir sterblich sind, haben wir keine Zeit. Weil wir verschwenderisch sind, sind wir reich oder pleite. 

Wir sind wie die Sterne: Jeden Morgen werden wir weniger, und abends werden wir mehr.

Unsere Feinde lieben uns bis zur Unkenntlichkeit. Unsere Freunde nehmen uns manchmal nicht wahr. Unsere Metaphysik ist Schokolade. 

Das Gute an uns ist, dass es uns nicht gibt. Wir sind keine Bewegung. Wir haben keine Ziele. Wir veranstalten keine Umzüge. Wir sind kein Apparat.

Wir sind wie eine offen stehende Rechnung, die niemand bezahlen kann.

Das Gute an uns ist, dass wir überall sind. Deshalb können wir jederzeit losschlagen. Vielleicht nie. Vielleicht in einer halben Stunde. Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass wir traurig waren. Aber nicht mehr den Grund.

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© by Monsieur Farkas, 2016