Frühlingsgefühle im Weltraum

Ein bisschen Popstar sein – auf den Spuren des finnischen Jazzmusikers, Nomaden und Lebenskünstlers Jimi Tenor anlässlich einer Konzerttour im Jahr 1998.

Wie schön, wenn es etwas gibt, woran man sich festhalten kann, wenn man kein zu Hause mehr hat. Jimi Tenor ist einer jener Entwurzelten, die sich überall auf der Welt herumtreiben. Seine Lieblingsbar ist in Coney Island und hat – wichtig! – auch im Winter geöffnet; seine Waschmaschine steht in London; seine alten Freunde leben irgendwo in Skandinavien verstreut. Heimisch fühlt sich Tenor zumindest an seiner Heimorgel, einem monströsen Apparat der Marke Farfisa, in dessen Furnierholzgehäuse ein warmes Licht flackert. Weiß der Himmel, wo das herkommt; jedenfalls bildet es einen hübschen Kontrast zu seinen offenbar vom Weltraum inspirierten Songs.

Als Jimi Tenor noch in der Nähe von Helsinki lebte, in einem verlassenen Ballhaus der Kommunistischen Partei, galt er als Loser. Gut, er hatte zwar zwölf Jahre klassische Musikausbildung hinter sich, konnte ganz passabel Saxophon, Flöte und Klavier spielen. Doch die Leute haben gesagt: Mach, dass du weiterkommst; es wäre besser, wenn du aufhörst, Musik zu machen. Der Vater dagegen meinte: Mein Junge, mach, was du willst – aber werde bloß nicht kommerziell.

Unter diesen Vorzeichen wurde aus Tenor ein Prototyp des zeitgenössischen Popwesens. Auf der letzten Loveparade war er ein Star für fünfzehn Minuten, sein Technostück »Take me baby« war auf einmal gefragt. Doch die Loveparade liegt Lichtjahre zurück, niemand erinnert sich, und so geht es Jimi Tenor wie vielen aus der Branche: Er ist ein Typ, den viele lieben – und ein Popstar, den eigentlich kein Schwein kennt.

Ein bisschen Popstar sein – das kann nun bedeuten, auf recht angenehme Weise zu leben. Man bekommt ein bisschen Geld, genug, um über die Runden zu kommen. Bei den Auftritten in kleinen Clubs wird man gefeiert, draußen in der Stadt aber in Ruhe gelassen. Und schließlich entwickelt man keine albernen Allüren, sondern bleibt auf dem Boden.

Umso mehr macht es einem wie Jimi Tenor dann wieder Spaß abzuheben: Der Song »Outta Space« handelt davon, wie jemand im Weltall Frühlingsgefühle bekommt. Jazzer wie Sun Ra oder Soulmusiker wie Curtis Mayfield nennt Tenor als Einflüsse, und sie lässt er in seinen sphärischen Klangwolken aufgehen.

»Ich selbst bin gar kein richtiger Jazzmusiker«, sagt er. Was er mache, sei »Schwindeljazz«. Denn er entleiht sich nur ein paar Akkorde, die er mit der Orgel und seiner Stimme verfremdet: »Als weißer Jazzer sollte man die falschen Töne spielen, um richtig zu liegen.«

Eine der letzten Nummern auf seiner aktuellen Konzertreise kündigt Tenor an als »weiteren Jazz-Standard, mal sehen, was ihr davon haltet«. Es ist der erstmals live mit Band gespielte Techno-Hit »Take me baby«, ein eher kühles Stück aus dem breitgefächerten Repertoire zwischen Jazzy Listening, New Wave und Space-Orgel-Sound. Techno mit Bass, Schlagzeug und Bläsersätzen zum Klingen zu bringen, funktioniert erstaunlich gut. Und das war es dann schon. Jimi Tenor, der sich zu Beginn seines Auftritts ein Glas Champagner auf die Bühne bringen ließ, verschwindet nach nur einer Zugabe.

Vielleicht wird es ja nie Weltraumpartys geben, krächzt er ein paar Tage nach dem Auftritt ins Telefon  Vielleicht gehe es in »Outta Space« auch nur um einen Kellerclub in einem besetzten Haus, wo die Leute Bier trinken und sich schweigend anstarren. Vielleicht würde er einfach Songs machen, die man »vor, während und nach dem Sex« hören könne. In Wirklichkeit, sagt er am Schluss, handle »Outta Space« von der Sowjetunion und von »funky products« wie Balalaikas oder russischen Synthesizern. Cool sei es damals gewesen: Als er als finnischer Wodkatourist in den Weiten des sowjetischen Reiches Künstlern begegnete, wundersamen Menschen, die nun wirklich niemand kennt.

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© by Monsieur Farkas, 2016