Schreibmaschinenjazz

Jack Kerouac war der König der Beatniks, sein Werk ist eine Feier des gelebten Moments. Doch er starb früh als hoffnungsloses Muttersöhnchen. Eine Würdigung anlässlich seines 75. Geburtstags im Jahr 1997.

Wäre Kerouac Musiker gewesen, er hätte die Melodien seines Lebens vielleicht auf dem Saxophon gespielt. So aber hat er sie in seine Schreibmaschine getippt, von Drogen angefeuert, dem Glück nachjagend, dem Jazz nachempfunden.

Kerouac wollte zum Beispiel klingen wie Charlie Parker, Luft holen, eine Phrase blasen, und wenn der Atem ausgeht, muss der Satz dastehen, muss alles gesagt sein: alles, was man sagen kann, oder es taugt nichts.

Deshalb ist Kerouac ein Schriftsteller, der von jeder Generation neu entdeckt wird; jemand, der erlebt hat, wovon er erzählt, verrückte, komische, traurige Dinge. Das Besondere an den Geschichten ist, dass sie etwas verheißen, aber nicht irgendwann, sondern jetzt. Nach oder am besten noch während der Lektüre eines Kerouac-Buchs würde man am liebsten sofort losziehen, auch wenn man keine Ahnung hat, wohin es gehen würde.

Er selbst wusste es selbst nicht.

Unzählige Male wollte er neu anfangen, als urbaner Cowboy auf den Partys in New York, als Hüttenbewohner in den kalifornischen Wäldern, als Zen-Buddhist in den Wüsten seines einsamen Herzens. Doch mit siebenundvierzig Jahren war der King of the Beatniks nur noch eine hoffnungslose Gestalt. Er ist gestorben wie der König der Spießer. Gedämpft von Alkohol und Fernsehen verbrachte er seine letzten Monate mit seiner Mutter und seiner (dritten) Ehefrau Stella in einem Häuschen in Petersburg, Florida.

Eines Morgens, am 22. Oktober 1969, ist Kerouac im Badezimmer verschwunden. Er hat Blut gespuckt, und wenige Stunden später war er tot.

Früher hätte es vielleicht bessere Gelegenheiten zum Sterben gegeben. Doch anders als etwa James Dean, Jimi Hendrix oder Kurt Cobain hat sich Kerouac selbst entmystifiziert, einfach, indem er weiterleben musste: krank, verzweifelt und um Aufrichtigkeit bemüht.

Am Ende wollte er eben kein Held mehr sein, sondern in Ruhe gelassen werden und nur noch für Memere dasein — so wie er es seinem Vater einst am Sterbebett versprochen hatte. Andere Frauen — und es gab nicht wenige, mit denen Kerouac ein Verhältnis hatte — sollten nie mit der geliebten Mutter konkurrieren. Auch nicht Joyce Johnson (damals Glassman), die zwei Jahre mit Kerouac verbrachte und deren Erinnerungen an jene Zeit, »Minor Characters«, soeben in Übersetzung erschienen sind (Joyce Johnson: «Warten auf Kerouac«, Verlag Antje Kunstmann, München 1997).

Johnson schildert, wie Frauen in der von Männern dominierten Boheme der späten Fünfziger zwar bewundert wurden — aber kaum je respektiert. Für die Beat-Dichter waren Frauen laut Johnson »anonyme Mitreisenden im großen Greyhound-Bus der Erfahrung. Da ihnen ein Mittelpunkt fehlt, wie konnten sie an dem Fieber verglühen, das diese jungen Männer angesteckt hatte? Sie füllten offenbar nur die Sitzplätze.« Johnson hält ihren Zorn nicht zurück, fühlt sich den Beats aber zugleich auf zärtliche Weise verbunden, und sie tut etwas, was unterdrückte Stimmen selten tun: Sie versucht zu verstehen – was nicht leicht ist.

Denn die Beats waren weniger eine Generation, wie der Dichter Gary Snyder einmal ironisch bemerkte, sondern gerade einmal vier Typen, die in den Bars um den New Yorker Times Square herumhingen, jeder auf seinem eigenen, höchst seltsamen Trip: Allen Ginsberg, ein politisch ambitionierter Poet, der in den Fünfzigern mit Howl ein eindrucksvolles Protestgeheul lieferte; Lucien Carr, ein energiegeladener blonder Jüngling, der in eine tödliche Messerstecherei mit einem Homosexuellen verwickelt war; William Burroughs, ein hagerer Intellektueller und Drogenfreak, der Jahre später bei einem Wilhelm-Tell-Spiel seine Frau erschoss; und schließlich Kerouac, ein kluger hübscher Junge francokanadischer Herkunft, der in einer katholischen Arbeiterfamilie aufgewachsen war, und hoffte, ein anerkannter Schriftsteller zu werden.

Es war einer der wenigen Träume, die in Erfüllung gingen. Wie Joyce Johnson erzählt, wollte Kerouac neben tausend anderen Plänen einmal von den Zinsen seines Vermögens leben, nach Belieben um die Welt fahren und seine »größten geheimen persönlichen magischen Ideenwerke« aufschreiben — nur für sich selbst.

In seiner naiven Art träumte er von einer »Rucksackrevolution«, vor der er aber spätestens dann zurückschreckte, als jugendliche Fans vor seiner Haustür standen und Jacken mit dem Schriftzug eines seiner Romantitel, »Dharma Bums«, trugen.

Kerouac verabscheute den Rummel, der um ihn gemacht wurde, seit 1967 »On The Road« erschienen war. Seine beste Zeit, so hatte er einem Freund einmal anvertraut, waren die fünf Jahre davor, als es noch niemand kümmerte, wer er sei und was er schreibe, und er mit ein paar Dollars in der Tasche über die Straßen gerauscht ist und die Welt durch das »Schlüsselloch seines Auges« neu erfunden hat.

Doch auf einmal war er nicht mehr der junge namenlose Dichter, der sich im Kerzenlicht die Finger aufritzte, um mit seinem Blut Gedichte zu schreiben. Kerouac war Mitte dreißig, als er, von zahllosen Reisen, Sauftouren und Publikationsversuchen ernüchtert, über Nacht berühmt wurde und scheinbar den Jackpot geknackt hatte. Aber da war es mit der wildesten Phase seines Lebens schon vorbei.

Er war ein anderer geworden; er war nicht mehr jener Sal Paradise, als der er in »On The Road« zusammen mit seinem Freund Dean Moriarty hinter den Verrückten her ist, hinter denen, »die verrückt danach sind zu leben, verrückt danach zu sprechen, verrückt danach, erlöst zu werden, und nach allem gleichzeitig gieren — jene, die niemals gähnen oder etwas Alltägliches sagen, sondern brennen, brennen, brennen wie phantastische gelbe Wunderkerzen, die gegen den Sternenhimmel explodieren wie Feuerräder, in deren Mitte man einen blauen Lichtkern zerspringen sieht, so dass jeder ,Aahh!’ ruft.«

Auch wenn es nun in den Jahren bis zu seinem Tod immer stiller um ihn geworden ist — heute ist der Schreibmaschinenjazz Kerouacs wieder gefragt.

So will Francis Coppola »On The Road«, den berühmtesten Roman der Beat-Literatur, demnächst verfilmen. Bei Rough Trade kommt in Kürze eine CD mit dem Titel »Kicks, Joy, Darkness« heraus, auf der Künstler wie Patti Smith, Lydia Lunch oder John Cale dem Beat-Poeten pünktlich zum 75. Geburtstag die Ehre erweisen. Und im Herbst wird im Rowohlt- Verlag eine neue Übersetzung von »On the road« (deutsch: »Unterwegs«) erscheinen. Was aber kann nun, vierzig Jahre nach »On the road«, Beat-Dichtung noch bedeuten?

Für den Rowohlt-Übersetzer Thomas Lindquist ist Kerouacs Prosa noch immer »absolute Poesie« einer Generation, die gerade eine Renaissance erlebe. Ohne sich anbiedern zu wollen, sei er darum bemüht, den »schäbigen Prolo-Ton« sowie die rasend schnellen Sätze wiederzugeben, bei denen man auch in der Übersetzung grammatikalisch korrekte Kommata weglassen müsse — »um nicht Tempo zu verlieren«. Außerdem müsse man sich klarmachen, sagt Lindquist, dass jemand wie Kerouac Benzedrin schluckend umhergezogen ist und am nächsten Morgen an einer Imbissbude in eine Bockwurst gebissen hat. Diese »siffige Atmosphäre« müsse auch die deutsche Fassung vermitteln.

Ende 1967, nach Jahren des Wartens, hatte sich Kerouacs Traum also erfüllt: »On The Road« war auf Platz eins der Bestsellerlisten.

Worum gehe es der Beat Generation überhaupt, wurde er immer wieder gefragt.

Jean-Louis Lebris de Kerouac, geboren am 12. März 1922 in Lowell, Massachusetts, genannt Jack oder Ti Jean oder Duluoz, gab verschiedene Antworten. Er wisse es nicht. Es sei ihm egal. Es habe keine Bedeutung.

Wer aber glaube, beat würde einfach nur geschlagen bedeuten, liege falsch; eigentlich stehe es für beatific, glückselig.

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© by Monsieur Farkas, 2016