
Nach der Saison ist vor der Saison: Von Kunden und Konsumenten, Freunden und Feinden, uneindeutigen Fronten, transatlantischen Strömungen – und Amazon als mächtigem Unternehmen der Kulturindustrie, dessen Erfolgsmodell einen rebellischen Geist in sich trägt.
Soeben stand ich zum ersten Mal in meinem Leben auf einem Surfbrett. Es dauerte nur wenige Sekunden; wer ungeübt ist, bei dem übernimmt sofort die Schwerkraft. Nicht aufgeben, weitermachen, nicht nachgeben, auf den Wind warten – und schon ein bisschen davon genügt, um über das Wasser zu gleiten und alles andere zu vergessen.
Den Feind, den Freund, das Tagesgeschäft. Wer ist der Feind noch mal? Amazon. Der Freund: das gute Buch. Das Tagesgeschäft: Wir sind gespannt.
Etwa auf die aktuelle Dynamik der Buchbranche im Allgemeinen und jener transatlantischen Wellen im Besonderen, die derzeit im Zuge des sogenannten Freihandelsabkommens den europäischen Kontinent samt zugehöriger Kulturszene umspülen.
Schon in der alten Ordnung, die noch bis tief in die Nullerjahre herrschte, waren die Fronten keineswegs eindeutig. Es gab auf der einen Seite große Player wie Random House unter den Machern und Hugendubel unter den Verkäufern, ein breites Mittelfeld mit Oldschool-Verlagen wie Hanser und Traditionsläden à la Bittner, und auf der anderen Seite so etwas wie einen Aufbruch, der von einer Welle enthusiastischer Independent-Verlage verkörpert wurde.
Doch Indies und Konzerne konnten bisweilen gar nicht so schlecht miteinander. Die Indies brauchten Geld, die Großen Credibility. Im Hintergrund der öffentlichen Wahrnehmung entstand zugleich ein kleiner Markt mit elektronischen Büchern, und das Prinzip Amazon begann an Fahrt aufzunehmen.
Dieses Prinzip besagt: Wir nehmen den Markt, so wie er ist, und rollen ihn als Ganzes auf. Kein Buch wird auf dem anderen bleiben. Auf Bücher kommt es gar nicht an. Nicht einmal auf Gewinne. Wir nehmen Verluste in Kauf, wenn wir sie in Marktmacht verwandeln können.
Was wirklich zählt, sind die Leser, die Daten der Leser, die Metadaten der Bücher und Leser. Wir wollen all diese Daten, und deshalb ist der Kunde King, und wir setzen alles daran, dass er sie uns gibt. Wir lassen dem Kunden von Leiharbeitern die Füße lecken, wenn es sein muss, und wir bieten ihm, koste es, was es wolle, den bestmöglichen Preis. Jeder Klick lässt die Macht wachsen, die unumkehrbar und uneinholbar sein wird.
Amazon ist nicht Krake, sondern Metakrake. Und kann längst nicht mehr bekämpft werden, sondern nur noch wachsen oder an sich selbst zugrunde gehen.
Das ist die Gegenwart, der Anfang der neuen Ordnung, in die ein Gesetz wie das über die Buchpreisbindung wie ein Relikt aus alten Zeiten hineinragt.
Zur Erinnerung: Anders als etwa in den Vereinigten Staaten (oder in China und inzwischen auch in der Schweiz) wird das gute alte Buch in Deutschland als Ware, aber eben auch als Kulturgut betrachtet. Um es zu schützen und seine Verbreitung möglichst großflächig zu befördern, muss das gute alte Buch überall gleich viel Kosten – Discounter, nein danke. Und dies gilt aus Sicht der Branche auch für das nicht ganz so gute, aber immer noch irgendwie nicht ganz so schlechte neue Medium namens E-Book.
Nicht wenige Buchhändler gehen deshalb vermutlich zurecht davon aus, dass das Spiel für sie vorbei wäre, würde diese Preisbindung fallen. Denn auch Menschen mit kulturellem Anspruch haben bisweilen die Mentalität von Schnäppchenjägern.
Für Amazon dagegen muss sich die Buchpreisbindung wie eine Allergie anfühlen: Jedes Mal, wenn wir einen Preis sehen, der fix ist, juckt es uns.
Es juckt, wir müssen niesen. Wir müssen, um die Wucht der eigenen Aktivitäten auf dem aufzurollenden Markt voll entfalten zu können, Preise dumpen, wo immer es geht. Wir sind kein dahinschlürfender Buchmensch. Wir sind Rebellen. Wir brechen eure Macht.
Insofern verheißen die seit Juli 2013 laufenden und auf die Beseitigung staatlicher Regulierungen abzielenden Verhandlungen zwischen EU und den USA über eine »Transatlantic Trade and Investment Partnership« (TTIP) nichts wirklich Gutes; selbst dann nicht, wenn diese für manche ein Anlass sind, den Errungenschaften der amerikanischen Populärkultur zuzuprosten oder einen Abgesang auf die Subventionskultur anzustimmen. Ob die Buchpreisbindung ernsthaft zur Disposition steht, vermag im Moment niemand zu sagen.
Wer nun ist Freund, wer ist Feind – oder sind alle inzwischen Freinde bzw. frenemies?
Das Buch ist immer noch ein Kulturgut; wenn auch vermutlich nur jedes Tausendste. Ein fester Buchpreis muss verteidigt werden; wenn dies auch in der digitalen Welt immer weniger eine Rolle spielen wird.
Amazon schließlich ist die neue Schwerkraft der Buchindustrie; wenn auch nicht als Naturgewalt, sondern nur als Geschäftsmodell.
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© by Monsieur Farkas, 2016
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