Der existenzialistische Kellner

»Ihr Bierchen, der Monsieur« – warum der Hallodri (an guten Tagen) nicht nur der ideale Kellner, sondern auch ein Sinnbild für die menschliche Existenz ist.

Schon bei der Geburt steckt der Hallodri in einer aussichtslosen Situation. Er beeilt sich, kämpft, schwitzt Blut — und bekommt kein Trinkgeld. Alles weitere wird nur eine Variation der immer selben Erfahrung sein. Das fühlt der Hallodri schon in jungen Jahren, und weil ihm erst mal nichts Besseres einfällt, beschließt er, Kellner zu werden und lässt sich einen Schnurrbart wachsen.

Der Hallodri ist von Grund auf anständig, schnell, fröhlich, ehrlich. Mit zunehmender Berufserfahrung aber wird er zum Hütchenspieler unter den Kellnern. In Wirklichkeit heißt er Paolo, wird sich später aber auch als Jean-Luc, Vasili oder Hans vorstellen — findet er selbst nicht lustig, so was, aber seine Gäste haben ein Anrecht auf seine Scherze, denkt er.

Warum seine Eltern Italien verlassen haben, weiß er nicht genau und erst recht nicht, warum er überhaupt Kellner geworden ist. Jedenfalls liebt Paolo seinen Beruf, mit kleinen Einschränkungen: erstens, wenn die Kolleginnen, und zweitens, wenn die Gäste nicht wären.

Der klassische Hallodri-Gast ist – eine alte Wachtel. Kaum bringt Paolo das Kirschtörtchen, schreit die Wachtel nach Kaffee. Bringt er den Kaffee, schreit sie nach Servietten. Bringt er die Servietten, schreit sie nach Fischsuppe. Ein normaler Mensch würde sie längst zum  Teufel schicken.

Einer wie Paolo aber singt »Dada-dadu-dadup« vor sich hin. Er lächelt und denkt »Leck mich«: Er bringt der Wachtel alles, was sie begehrt, und wenn sie ihn bittet, er, dieser Schlingel, solle sie noch nach Hause begleiten, sagt er: »Du bist so schön, ich bin so hässlich, das passt leider nicht zusammen, mon chérie.«

Manchmal aber besteht die Welt einfach aus hundertfünfzig Gästen, deren Wünsche auf der Speisekarte stehen. Und ausgerechnet dann spielt die Küche verrückt und schickt Paolo mit obskuren Dingen auf den Weg. Mit Dingen, die in der bürgerlichen Welt gemeinhin nicht zum Verzehr gedacht sind, darunter Käfer und Schaben, Fingernägel,  ein Stück Plastik von einer Mozzarellapackung. Unter solchen Umständen ist an Trinkgeld nicht zu denken.

Paolo entwickelt Gegenstrategien: Wurschtigkeit, Schnoddrigkeit, Plappermäuligkeit, kurz: Hallodritum. Dialoge laufen dann ungefähr so ab: »In meinem Kaffee ist ein Wurm!« – »Cosí, cosí, ich bringe Ihnen einen neuen,  mein Schätzchen, ich meine natürlich einen neuen Kaffee, fühlen wir uns nicht gut?« Oder: »Ich hätte gern ein warmes Bier.« – »Prego« (reicht das Bier), »Ihr Bierchen, der Monsieur« (tippt sich an die Stirn); »geht es so?« (kneift die Augen zusammen). »Ich kann es Ihnen gern noch wärmer machen« (zieht an der Zigarette des Gastes), »ganz wie Sie wünschen« (bläst den Rauch vor sich hin), »aber im Vertrauen, der Herr« (beugt sich herunter, flüstert unverständliches Zeug),  »ich werde nichts davon Ihrer Frau erzählen« (schüttelt den Kopf und kichert), »allora, immer zu Ihren Diensten« (steckt die Taschenuhr des Monsieurs ein).

So könnte es ewig weitergehen.

Geht es nicht mehr weiter, singt Paolo »Felicità«, einen dieser abgedroschenen Pizzerien-Schlager aus den Siebzigern. Man muss den Hallodri nicht hassen. Kann man ihn überhaupt hassen?

Eine mir bekannte Dame — sie geht auf die Siebzig zu — sagt zu ihrem Lieblingskellner in einer Ostería in München-Bogenhausen jeden Samstag um halb neun: »Bringen Sie mir Parmaschinken mit Melone. Aber, bitte, ein Stück von Ihrem Hintern dürfte schon dabeisein.« Das findet unser Kellner gar nicht witzig.

Nein, wenn hier einer Witze macht, dann er. Der Hallodri ist nun auch einer der wenigen, die keine Angst vor dem Sterben haben; der Tod ist für ihn die Mutter des Feierabends. Was er dagegen  fürchtet, ist ewiges Leben. »Dann wäre ich ganz schön bedient.«

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© by Monsieur Farkas, 2016