Es gibt kein Zurück, die Rille läuft aus, die Platte wird bald umgedreht. Nur wissen die wenigsten, mit wem sie das erste Frühstück im neuen Jahrtausend einnehmen werden; ob dies vielleicht eine Tablette um zwölf oder eine Zigarette um sechzehn Uhr ist; und welcher Sound dazu läuft.
Niemand aber weiß, ob es überhaupt was zu feiern gibt. Denn auf die Frage, wie sich die B-Seite der Erde anhört, tun sich selbst DJs mit einer Antwort schwer. Und die kennen sich mit A- und B-Seiten normalerweise ganz gut aus.
Nehmen wir Ed Rush, Lieferwagenfahrer und DJ der nächsten Generation. Warum wird für einen wie Ed plötzlich Apokalypse wieder zu einer wichtigen Idee? Wie kommt es, dass die ohnehin leicht reizbaren Geschwister Drum & Bass düsterer und gefährlicher klingen als je zuvor?
Ed ist jung, teeniesomething, und heizt jeden Tag nine-to-five wie ein Blöder durch die Stadt, versorgt seine durstigen Kunden mit Wein. Das macht einen auf Dauer kirre, sagt Ed. Damit es noch verrückter wird, schiebt Ed das DJ Kicks-Tape von Nicolette in den Schlitz, was zum Rhythmusteufel ist das? Phantastisch! Und fährt ganz woanders hin, aus Versehen. Dann dreht er eben wieder um, quietsch, und ab, zurück. Wenn es sein muss, wendet Ed auch dann, wenn’s strengstens verboten ist. Wenn das Verkehrsschild einen Pfeil zeigt, dessen Spitze genau auf ihn gerichtet ist: No U-Turn!
Am Steuer kriegt Ed das Gefühl, als würde jemand seinen Kopf knallen lassen wie einen Korken. Vielleicht liegt das an den dröhnenden Straßen, am Großstadtgeheul oder daran, dass jede Sekunde eine schreckliche Scheiße passieren könnte, etwas noch nie Dagewesenes. Atompilze mögen zwar ganz hübsch aussehen, aber mal ehrlich – wer will schon untergehen, gemeinsam mit allen. Und wer will schon überleben, ohne die anderen?
Solche Gedanken hat Ed, wenn er die Tür zu seinem Studio öffnet. Hier drückt er dann auf Knöpfe, die nur er bedienen darf, und die Welt fliegt nicht gleich in die Luft. Aber es klingt so: Hier, im Warehouse an der Eastman Road in London W 3, entsteht der Soundtrack für das neue Jahrtausend. Musik, zu der man besser nicht frühstücken sollte. Zumindest kein Müsli.
Techstep, so heißt der Rohstoff zum Tanzen, eine Variante von Drum & Bass, gefördert vom britischen Label No U-Turn und vielleicht das Größte, was es seit langem zu hören gab. Tech, tech, tech, diese Beats sind nicht zu stoppen, die Bässe bohren in den Eingeweiden, und jedes Fiepen hinterläßt Sprengwölkchen. Apokalyptisch klinge dieser Sound, heißt es. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Bei Techstep schwingen auch Alltagsmaschinen mit, prasseln flüchtige Informationen nieder, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.
Ed verlässt das Studio, und ist es ihm egal, wie sich das nächste Jahrtausend anhört. Er schaut in den Himmel und wundert sich für einen Moment, wie dunkel die dunkle Seite des Mondes in Wirklichkeit sein muss.
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© by Monsieur Farkas, 2016
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