Die Chicks on Speed, Kunstkollektiv und Band, waren schon Post-Internet, als noch kaum jemand einen Computer besaß. Ein schnelles Helles im Baader-Café in München anno 1998.
Auch wenn Alex, Kiki und Melissa plötzlich reich wären, würde sich in ihrem Leben womöglich nicht allzuviel ändern.
»Ich mag mein altes Fahrrad«, sagt Melissa.
»Wir würden einen Computer kaufen«, meint Kiki.
»That’s a great Ziel!«, stimmt Alex zu.
München, 1998. Die drei sitzen im Baader Café, kichern und quatschen in Englisch, Deutsch oder einem Mischmasch aus beidem.
Jedenfalls haben die Chicks On Speed, wie sich die drei Freundinnen seit einiger Zeit nennen, nicht besonders viel Geld. Und es kümmert sie nicht, denn sie sind echte Künstlerinnen. Oder zukünftige Popstars. Oder zumindest irgendetwas in dieser Richtung.
Angefangen hat es so: Alex, die Australierin, wollte Anfang der Neunziger unbedingt auf die Kunstakademie in München, weiß der Himmel, warum. Melissa, die New Yorkerin, war auf dem Weg nach Prag, ist aber aus unerfindlichen Gründen ebenfalls nur bis München gekommen. Und Kiki, Stylistin und das Schwabing-Girl der Gruppe, war einfach schon da und schien nur darauf gewartet zu haben, dass die beiden anderen endlich eintreffen.
Dass sich die drei also irgendwann kennenlernen würden, konnte zwar niemand voraussehen – aber es konnte eben auch niemand verhindern. Und so ist ihnen zu dritt gelungen, wovon sie alleine oft nur geträumt haben.
«Wir haben keine Angst, Fehler zu machen«, sagt Melissa.
»Wir haben nachts eine Idee und fangen am nächsten Tag sofort damit an«, meint Kiki.
»Wir wissen nie genau, was passiert«, stimmt Alex zu.
Nach diesem Prinzip funktionierte zum Beispiel die Seppi Bar, ein legendärer privater Partyabend mit Live-Bands, den das Trio zwei Jahre lang an wechselnden Orten veranstaltete.
Und so funktioniert ihr Label Go Records, auf dem die Chicks On Speed in streng limitierter Auflage ihre Electro-Singles veröffentlichten.
So funktioniert auch das dilettantisch-geniale Design der Flyer und Plattencover. Oder die T-Shirt-Produktion. Oder ihr neues Cassetten-Label Stop Records, auf dem in den nächsten Monaten Aufnahmen von Musikern und Künstlern aus München, Wien und Tokio veröffentlicht werden – »eine Art analoges Internet«, sagt Alex.
Natürlich brauchen die Chicks jetzt erst einmal Urlaub. Aber sie wollen im Urlaub nicht arbeiten, »wie Touristen«, sagt Kiki, »die ein Photo nach dem anderen schießen«.
Sie legen lieber einen Ruhetag ein, zum Beispiel am 15. August auf der Popkomm in Köln im Hotel Rheingold, und dort kann man sie auf ihrem Zimmer besuchen, wo sie einfach nur essen, schlafen, fernsehen und sich mit ihren Gästen amüsieren.
Zuvor aber, diesen Freitag und Samstag im Ultraschall, geben sie erst einmal eine große, bunte, kunstsinnige, wahnwitzige Urlaubs-Party unter dem Motto »Holiday«.
Es wird Videoinstallationen; Super- 8-Filmschleifen, Postkartenvorhänge und eine Action-Painting-Show des finnischen Pophelden Jimi Tenor geben; die Agentur Strada präsentiert eine interaktive CD-ROM; und die Freaks von Mooner Industries betreiben ein Cowboy-Casino mit virtuellen Spielen und realem Poker-Tisch.
Neben zahllosen DJS – unter anderem DMX Krew, Virgin Helena, Miss Kittin und Hans Nieswandt – treten am Samstag auch die Chicks On Speed selbst auf, diesmal mit einem »richtigen Gitarristen und einer richtigen Band«.
Wer aber sind die Chicks eigentlich, was machen sie? Kunst? Pop? Ferien auf Lebenszeit?
»Unser einziger Feind ist die Isolation, you know«, sagt Melissa.
«Ja, Kunst ist Kommunikation«, meint Kiki.
»Nein, Kunst ist Stress … «, ruft Alex empört, » … aber mit dem Stress ist das so wie mit den Männern: Ich brauche das.«
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© by Monsieur Farkas, 2016
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