
Wenn sich aufgeschlossene Soziologen einer Subkultur widmen, hat das nicht nur Auswirkungen auf das Feld – sondern auch auf die Forscher. Beobachtungen auf einer Techno-Tagung 1997 in München.
Sie mögen aufgrund höchst befremdlicher Dinge in Ekstase geraten. Sie mögen einen Slang benutzen, dessen Geheimnis anderen für immer verborgen bleibt. Sie mögen also ein Exotendasein führen und mitunter belächelt werden. Und dennoch, Soziologen haben es vergleichsweise gut: Sie werden in Ruhe gelassen.
Anders dagegen die Jugend. Sie wird geortet, geordnet, gezählt. Sie wird ausgefragt, eingeschätzt, abgegrenzt. Sie wird dargestellt als Tabelle, Kurve, Torte. Kurz: Sie ist der Stoff, aus dem die Träume der Soziologen sind.
Statistik alleine aber führt nicht weiter. So betreibt der Münchner Soziologieprofessor Ronald Hitzler Feldforschung — in der Technoszene. Und was macht der 46jährige, nachdem er, meist in Begleitung von Studenten, einen Club wie das Ultraschall betreten hat? »Wir versuchen mitzutun«, sagt Hitzler, »was man da eben tut – tanzen, mit den Leuten reden, chillen.«
Natürlich ist die Methode der sogenannten teilnehmenden Beobachtung nicht nur ein Spaß; sie ist auch mühsam. In Dutzenden von Interviews mit Gästen, DJs und Veranstaltern versucht man, dem »distinkten Erfahrungskomplex« Techno auf die Spur zu kommen. Fallbeispiele sollen zu einer Typologie von Ravern beitragen. Und, wenn die Forscher vom Felde zurückkehren, wird das angeeignete Wissen etwa bei der Analyse der Technozeitschrift Frontpage angewandt — im regulären Uni-Seminar.
Was ist nun überhaupt das Neue an Techno? Ist die Szene mit klassischen Begriffen wie Subkultur zu fassen? Was könnte man von Techno lernen?
Mit solchen Fragen beschäftigte sich am letzten Wochenende eine Tagung im Haus der Jugendarbeit. Titel der bundesweit ersten Veranstaltung dieser Art: »Zwischen Lokalkolorit und Universalstruktur — sozialwissenschaftliche Annäherungen an das Phänomen Techno.« Geladen hatten Wissenschaftler Hitzler und seine Mitarbeiterin Michaela Pfadenhauer vom Münchner Institut für Soziologie sowie das Stadtjugendamt und die städtische Drogenberatung. Gekommen waren rund fünfzig Soziologen, Psychologen, Studenten und Trendscouts aus der ganzen Republik.
Die Referenten — zum Spaß wurden sie auch »Raverenden« genannt — gingen in ihren Beiträgen über Techno im engeren Sinne meist hinaus. So ging es zwar auch darum, »Argumente zu pitchen und Theorien zu scratchen«, wie es Thomas Lau von der Style Police in Herten in Anspielung auf beliebte DJ-Techniken formulierte. Doch bald wurde klar: Themen wie Generationenkonflikt, Grenzerfahrungen, Drogenpolitik, Massenkonsum oder Selbstentfremdung beziehen sich nicht nur auf die Ravin‘ Society — sondern auf die gesamte Gesellschaft.
Eine der Grundfragen lautete nun: Was ist die Frage, auf die Techno offenbar eine Antwort gibt? In einer soziologischen Einführung ordnete Hitzler die Technoszene als Prototyp einer posttraditionalen Gemeinschaft ein. Charakteristisch für diese Art von Gemeinschaft sei zum einen, dass man sie jederzeit wieder verlassen könne; zum anderen, dass ihre Macht nicht auf Zwang, sondern auf Verführung beruhe. Und schließlich stehe Techno im Spannungsfeld von Differenz und Einheit (»We are different« — »We are one family«) und sei damit exemplarisch für die doppeldeutige Existenz des Individuums »zwischen Entbettung und Rückbettung«.
Weil nun der »Raverling« grundsätzlich gesellig und zutraulich sei und keine natürlichen Feinde habe, wie eine Berliner Bildungsgruppe vom Max-Planck-Institut ironisch bemerkte, konnte er sich erst einmal ungestört vermehren. Doch als Kinder der Risikogesellschaft ist den Ravern die Rückkehr zur Natur nicht mehr möglich. Statt des Biotops bleibt ihnen nur das Soziotop: jene unverbindliche und fröhliche Gemeinschaft, die dem allgemein verbreiteten Identitätsverlust eine »buchstäblich atemberaubende Intensität« entgegensetzt — ohne an die Zukunft zu denken.
Genau das aber schien eines der Probleme zu sein, die auch den öffentlichen Umgang mit Techno bestimmen. Etwa, wenn von einer unpolitischen Jugend die Rede ist, die sich »stumpfsinnigen Beats« oder gar einer »heimlichen Marschmusik« hingebe und überdies mittels Drogenkonsum aus der Realität flüchte. Einige Teilnehmer beklagten denn auch, dass Techno noch nicht alltagstauglich sei. Spaß und Urlaub alleine würden noch nicht zum Lebensentwurf taugen, und es müsse, so die Folgerung, Techno vielleicht einen Gegner finden, um schärfere Konturen zu bekommen. Gabriele Klein von der Universität Hamburg dagegen sah schon in der Grenzerfahrung des Tanzens ein subversives Potential. Diese Musik erzähle keine Geschichte mehr, sondern ziele direkt auf den Körper: »Techno schickt sozialen Umbrüchen Tanzrevolten voraus.«
Für Erkenntnisse populärwissenschaftlicher Art sorgten schließlich die Partysanen, ein Techno-Veranstaltungsbüro aus München. Kerstin Greiner machte darauf aufmerksam, dass Techno keineswegs nur »Bumbum« sei, sondern zunächst einmal nur Musik bedeute, die elektronisch erzeugt werde. Hörbeispiele zeigten eindrucksvoll, dass die vom »Mutterschiff Techno« ausgehenden Stile — wie House, Ambient, Trance, Goa, Trip-Hop oder Drum & Bass — mit den gängigen Vorstellungen von Techno nicht mehr viel zu tun haben.
Zu späterer Stunde hatten dann die Partysanen in ihren neuen Club Millenium geladen. Professor Hitzler, eine Art Dr. Underground Münchens, steht an der Bar, um den Abend mit anderen Tagungsteilnehmern ausklingen zu lassen. Die Forschung über das Bpm-Phänomen hat Hitzler auch privat verändert. Statt Wagner höre er jetzt fast ausschließlich elektronisch erzeugte Beats. Wie selbstverständlich redet er davon, dass er den nächsten Auftritt von Carl Cox auf keinen Fall verpassen werde.
Seine Rolle als Wissenschaftler sehe er aber auch problematisch. Er verstehe, wenn Jugendliche das Gefühl hätten, man würde ihre Kultur vereinnahmen. Doch hier ist es umgekehrt die sogenannte Jugend, die offenbar die Alltagskultur eines Soziologen verändert hat. Hitzlers vorläufig letzte Erkenntnis: »Meine letzte gute Party war in einer Tiefgarage.
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© by Monsieur Farkas, 2016
> Der von Ronald Hitzler herausgegebene Band »Techno-Soziologie: Erkundungen einer Jugendkultur« ist nur noch antiquarisch als Sammlerstück erhältlich, zum Beispiel hier; Gabriele Kleins »Electronic Vibration: Pop Kultur Theorie« gibt es zum Beispiel hier als – hochpreisiges – Taschenbuch.
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